Die eigene Angst in den Griff bekommen und Vorstellungsgespräche meistern
21.09.2020
Die Atmung wird schneller, der Herzschlag immer lauter, wir bekommen keinen Bissen mehr runter. Es ist, als ob ein Gorilla auf unserer Brust sitzt. Und am Ende sitzen wir da, schweißgebadet und mit puterrotem Gesicht. Wir alle kennen dieses Gefühl – Angst.
Unsere ersten Momente der Angst erleben wir meistens schon in unserem 1. Lebensjahr – wenn uns eine fremde Person gegenübersteht, oder Mama/Papa auf einmal weg ist. Ab da vergeht fast kein Tag, an dem wir nicht Angst haben – sei es vor dem Monster unter dem Bett, dem fiesen Nachbarskind, dem ersten Date, unserer Abschlussprüfung oder einem Zahnarztbesuch. Dabei stehen wir in all diesen Situationen keiner direkten Gefahr gegenüber. Da ist kein Bär, kein Auto und kein Attentäter. Trotzdem sendet unser Gehirn ein Signal an die Amygdala (ein Teil unseres limbischen Systems ziemlich in der Mitte unseres Kopfes), eines der Zentren, die für Emotionen zuständig sind. Sie meldet in diesen Situationen Gefahr, was wiederum eine Reihe von Signalen auslöst, die schließlich zur Aktivierung unseres Sympathikus führt. Dieser sorgt dafür, dass unser Körper bereit für Flucht oder Kampf ist.
Zunächst schütten die Nebennieren Hormone aus, woraufhin sich die Blutgefäße verengen, was zu dem erhöhten Herzschlag führt, den wir alle mit Angst assoziieren. Außerdem verschnellert sich unsere Atmung, damit auch im Sprint unsere Muskeln weiter versorgt werden können und unsere Augen weiten sich. Dies dient nicht nur dazu, dass wir die Gefahr besser sehen können, sondern es informiert auch die Menschen um uns herum, denn Angst ist einer der am besten erkannten Gesichtsausdrücke. Wir könnten Grizzlies besiegen und dreimal um die Welt rennen. Zusätzlich zur Aktivierung des Sympathikus geschehen noch andere Vorgänge im Körper, z.B. wird Cortisol ausgeschüttet, eines unserer Stresshormone. Denn ganz grundsätzlich betrachtet, ist Angst einfach nur eine Stressreaktion.
Bei all dieser Fluchtvorbereitung ist es nicht verwunderlich, dass wir in den eingangs genannten Situationen am aller liebsten weglaufen würden. Das ist aber oft nicht möglich, die Arzthelferin wäre sehr verdutzt, wenn wir auf einmal aufspringen und aus dem Wartezimmer flüchten würden.
Leider ist es aber nicht kontrollierbar, wann wir Angst fühlen. Und so überrascht sie uns auch in den unpassendsten Momenten, wie z.B. vor einem Vorstellungsgespräch oder bei der Aussicht, eine Präsentation halten zu müssen. Aber warum überkommt uns gerade da so ein Gefühl von Angst? Wir sind nicht gerade mit den Reihen scharfer Zähne in dem Maul eines hungrigen Tigers konfrontiert – wobei einigen der Tiger bestimmt als vorzuziehende Alternative erscheint. In diesen Situationen stehen wir im Moment keiner konkreten Gefahr gegenüber, aber wir wissen, dass wir uns bald in einer kritischen Situation befinden werden.
Vielleicht malen wir uns auch Gruselszenarien aus, der Recruiter stellt viele provokante Fragen und trifft genau die Themen, zu denen ich nicht so viel Ahnung habe. Oder wir stehen vorne neben dem Whiteboard, haben unsere Stichwortkarten vergessen und die Kollegen fangen auch schon an zu tuscheln. So, oder ähnlich, können sich diesen kleinen Horror-Filme in unserem Kopf abspielen. Ganz egal, was uns da verfolgt oder vor welchen Situationen wir Angst haben, sie sind nicht so unterschiedlich, wie wir vielleicht glauben mögen. Alle haben für uns eine große Bedeutung, egal ob neuer Job oder Abschlussprüfung.
Außerdem fürchten wir uns vor einem möglichen Scheitern, da wir das Gefühl haben, dass dies für uns viele negative Folgen haben wird. Und als wäre das nicht genug, liegt die Entscheidung über Sieg oder Niederlage in diesen Situationen oft nicht ausschließlich in unseren Händen. – Welche Fragen werden gestellt? Nach welchen Kriterien wird bewertet? Findet mich mein Gegenüber sympathisch? All das ist Grund genug, zu versuchen, die Angst wieder loszuwerden, damit wir nicht stotternd neben dem Whiteboard stehen oder der Recruiter die Einstiegsfrage dreimal stellen muss bis wir sie endlich verstehen. Aber genauso, wie wir nicht kontrollieren können, wann wir Angst empfinden, können wir sie nicht einfach vor die Tür stellen, wenn sie uns gerade lästig ist – da könnten wir sie ja eigentlich auch gleich abschaffen.
Trotzdem sind wir nicht völlig machtlos, wenn wir mit unserer Angst konfrontiert werden. Es gibt zahlreiche Strategien, die uns Linderung und positive Gedanken versprechen. Manche raten einfach zu tiefem Atmen oder Yoga, um den Parasympathikus zu aktivieren, andere sind der Meinung, dass man einfach das Adrenalin abbauen muss und wieder andere glauben, dass man die Angst so richtig ausleben muss, um sie hinter sich lassen zu können. Wie L. Greenberg schon sagte: „You can’t leave a place until you have fully arrived at it”. Grundsätzlich gilt: Mit unserer Amygdala können wir nicht reden. Doch trotz aller Kommunikationsschwierigkeiten, unsere Amygdala kann lernen. Allerdings sind die oben vorgeschlagenen Methoden in vielen Situationen nicht gut anwendbar. Was würden die Kollegen erst sagen, wenn wir zur Vorbereitung auf unsere Präsentation im Lotussitz neben dem Whiteboard Platz nehmen?
Eine weitere, sehr effektive Methode, um mit unserer Angst umzugehen, ist eine gute Vorbereitung. Wir konfrontieren uns und unsere Amygdala mit der Situation. Dadurch lernt sie, dass von dieser Situation keine oder kaum Gefahr ausgeht. Wir können beispielsweise unsere Präsentation vor Freunden halten und sie um ehrliches Feedback bitten, oder testen unsere Fähigkeiten mithilfe eines Probe-Bewerbungsgesprächs (als Training). Dabei können wir dann auch gleich die Selbstvorstellung und das Beantworten von situativen Fragen üben, und stellen uns auch schon mal der ein oder anderen provokativen Frage, sodass uns schräge Bemerkungen zu Lücken im Lebenslauf oder zum Abbruch der Ausbildung nicht kalt erwischen.
Wichtig ist hierbei natürlich, dass wir uns mit offenen Augen unserer Angst-Situation stellen. Zudem kann eine gute Vorbereitung ein Gefühl von Gewissheit bzw. Sicherheit geben, was uns wiederum den Eindruck vermittelt, dass wir doch mehr Kontrolle haben als ursprünglich angenommen. Und vielleicht lassen wir am Ende die Angst sogar tatsächlich vor der Tür stehen und können ohne Schweißflecke und glühende Wangen dem Tiger gegenübertreten – oder zumindest dem Recruiter.
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Artikel von: Anne Kornmayer (Karrierecoach München)